Susanne Werdin
DIE FLÄCHE – DER ATEM – DAS METRUM – DER SCHEIN
(Claus Baumann, Leipziger Blättern Heft 73)
Andacht oder Meditation und Vielfalt leiser Töne wie ein Gebet, doch voller Eleganz, beinahe Raffinesse schon, hingebungsvoll ohne Kompromisse und doch voller Frieden, betörend für den, der es zu sehen vermag, Poesie des Stahls einer spitzen Klinge zuweilen, als könnte man auf dieser doch noch genug Platz finden zum Tanzen in feinem Gewande und zu dominierenden Harmonien Bild gewordener Klangfarben und Farbklänge, fast ein wenig so, als wäre Musik augenscheinlich geworden …
Ihre Arbeiten, die voller Feinheiten und Klarheit sind und die am besten mit Musik zu beschreiben wären, wenn sich Musik in Worte fassen ließe, lassen sich ohne Abstriche zur konstruktiv/konkreten Kunst zählen. Und damit bewegt sich Susanne Werdin im vollkommen Gegensätzlichen zu dem, was man im allgemeinen von Leipziger Kunst erwartet. Daß sie trotzdem unbeirrt ihren künstlerischen Weg geht, nötigt Bewunderung ab, denn es ist in dieser Stadt keinesfalls selbstverständlich. Aber in der Regel können die, die sich einmal mit konstruktiv/konkreter Kunst und deren Tiefe eingelassen haben, nicht wieder davon wegkommen. Denn neben der eigenen speziellen Veranlagung, die einen dazu treibt, ist es die Faszination, immer neue künstlerische Konstellationen, Kombinationen und Prinzipien zu finden, da wo man glaubt, doch eigentlich nichts mehr finden zu können. Wie ein Sog zieht es den Macher oder die Macherin hinein in eine Welt, die mit nichts vergleichbar allein aus sich selbst heraus wirkt. Vergleichbar höchstens mit der Musik, mit der sie die Nähe zur Mathematik und Geometrie verbindet – die sich gleichfalls in ihren Feinheiten nicht jedem erschließen.
Susanne Werdin wurde 1964 in Guben, in einem Pfarrhaus, einem weltoffenen und vor allem musikalischen, geboren. Das muß man vorwegschicken, denn das Spirituelle und die Musik bestimmen in unterschiedlichster Form nicht nur ihr weiteres Leben, sondern sind auch treibende Kräfte bei ihrem bildkünstlerischen Schaffen.
Der Wunsch, sich dahingehend zu betätigen, entsteht in der unmittelbaren Nachschulzeit. Doch bis es dazu kommt, wird es einige Jahre und Umwege brauchen. Denn von 1982 bis 1985 absolviert sie zunächst eine Ausbildung mit Abschluß zur Kantorin an der Kirchenmusikschule in Greifswald. Unmittelbar danach, von 1986 bis 1991, folgt eine Ausbildung zur Krankenschwester in Berlin, ebenfalls mit Abschluß. Erst von 1991 bis 1997 studiert sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig, wo sie 1997 bei Rolf Kuhrt das Diplom als Malerin und Grafikerin erlangt. Anschließend erfolgt eine Meisterschülerzeit zuerst bei Ulrich Hachulla, dann bei Volker Pfüller. Seit 2001 lebt und arbeitet sie freischaffend in Leipzig.
So leicht, wie es sich liest, verlief ihre künstlerische Ausbildung aber nicht, denn zuerst sollte es in Richtung Buchkunst gehen. Dann ist sie von der Schriftgestaltung bei Hildegard Korger begeistert. Mit Hilfe von Wolfram Ebersbach lernt sie an der HGB den freien Umgang mit der Farbe; für sie auch heute noch ein wichtiger Moment. Doch durch Rolf Kuhrt macht sie den Schritt vom Schreibtisch direkt zur Staffelei. Dort sind es die Landschaft, die Figur, das Porträt, und alles ganz im realistisch-figürlichen Sinne, meist in der Technik der Radierung, die ihr damaliges künstlerisches Schaffen bestimmen; und was sie dazu bewegt, nach dem Diplom bei Ulrich Hachulla, dem Leiter der Radierwerkstatt, ihre Meisterschülerzeit zu beginnen. Es sieht ganz so aus, als ob damit ihr weiterer künstlerischer Weg vorgezeichnet ist.
Doch in diese Meisterschülerzeit hinein erfolgt 2000 eine Anfrage des MDR-Magazins »Triangel«. Man brauchte eine Illustration zu einer Oper, die Wolfgang Rihm zu Paul Celan geschaffen hatte, und war durch Werdins Farbholzdrucke zu Gedichten von Celan auf sie aufmerksam geworden. Diesem Auftrag folgt ein zweiter: Illustrationen zu Händel-Opern; und da sie von der Musik mehr fasziniert ist als von den – figürlich darzustellenden – Handlungen der Opern, beginnt sie zu experimentieren, um eine Form zu finden, die dieser Musik entsprechen könnte.
Sie hat Glück, Mathias Kleindienst überläßt ihr die Schlüssel zur Holzschnittwerkstatt, dort kann sie zeitlich unbegrenzt ihren Ideen nachgehen und mögliche Ergebnisse unmittelbar auch in der Technik des Holzschnitts überprüfen. Das Bemühen, bildhafte Assoziationen zu Klang und Rhythmus usw., also zu den grundlegenden Eigenschaften der Musik zu finden, führte ganz zwangsläufig hin zur immer stärkeren Abstraktion in bezug auf Fläche und Linie in der Korrespondenz mit entsprechender Farbe, hin zum spezifischem Farbklang. Bald ist ihr bis dahin gegebenes figürliches Vokabular gänzlich verdrängt, je mehr die neu gefundenen Bildwelten tatsächlich optisch zu klingen beginnen.
Sie hatte ihren künstlerischen Weg gefunden. Es hatte sie zurückgeführt zu dem, was ihrer Prägung entsprach und von dem sie etwas verstand: das Musikalische, das Geistige, das Spirituelle. Und sie beschreitet diesen neuen Weg gleich mit aller Konsequenz. Durch immer weitere Ab-straktion entstehen bald die ersten schwarzweißen Linienbilder. Für Leipzig in der damaligen Zeit sehr gewöhnungsbedürftig.
Ihr erster Meisterschülervater ist davon wenig begeistert. Er ist ganz ein orthodoxer Vertreter der alten Leipziger Schule, für den eine Linie höchstens zur Umrandung einer Nase gut ist. Er bleibt der Meisterschülerprüfung fern, was zu deren Scheitern führt.
Volker Pfüller gibt ihr eine zweite Chance. Und eineinhalb Jahre später besteht sie die Meisterschülerprüfung auf der Basis ihrer neu gefundenen künstlerischen Auffassung. Grundlage dafür ist eine Ausstellung ihrer neuen Arbeiten, die Elke Pietsch in der Hochschule der Telekom veranstaltet.
Susanne Werdin bleibt auch weiterhin (bis heute) dem druckgrafischen Metier (insbesondere dem Holzschnitt) treu, aber es entstehen im gleichen Maße Tafelbilder, die für den hier gestarteten Versuch einer Beschreibung den Nachteil besitzen, daß sie auch heute noch nicht vollkommen reproduzierbar sind. Man müßte die Technik der Holographie anwenden, um ihren diesbezüglichen Bildern gerecht zu werden. Es sind – im alten Sinne des Begriffs – »Gemälde«, aber eigentlich »Objekte« und eigentlich doch nicht.
Der Versuch, beim Malen den Bildrand zu sprengen, ist sehr alt. Bereits der sogenannte Hohenfurther Meister aus dem 14. Jahrhundert war darum bemüht. Aber den Bildrand auch betreffs seiner räumlichen Spezifik (raum- und farbgebend) ins Gemälde gestaltend einzubeziehen, das ist eine Verfahrensweise der Neuzeit, denn es setzt den Verzicht auf einen Bilderrahmen voraus. Und das prägt zuweilen – sogar als gestalterischer Hauptfaktor – die malerischen Arbeiten von Susanne Werdin.
Musik läßt sich nicht eins zu eins in Bildformen übersetzen, aber es gibt zwischen beiden Berührungspunkte, die Assoziationen zum jeweils anderen hin ermöglichen. Denn gleich der Musik mit ihren unendlich vielen Klangfarben, Rhythmen und Lautstärken verfügt die Bildkunst über unendlich viele Farbklänge, Bedeutungen der Linien und Flächen, und alle in rhythmischen Beziehungen zueinander. Diese Gegebenheiten und Konstellationen lassen sich als Kunst nur intuitiv meistern, das heißt: So dabei etwas für uns Wohlklingendes, uns Beeindruckendes entstehen soll, muß es Voraussetzungen geben. Und die gibt es bei Susanne Werdin seit dem Elternhaus.
Was sie (angenommen) an der Orgel vielleicht nicht geschafft hätte, das gelingt ihr in ihren Bildern. Es ist bei ihren Arbeiten ein Reichtum an Nuancen in Beziehung auf Farbgebung, Farbverläufe, Flächen, Linien, Strukturen und Räumlichkeiten im ernsten Spiel zueinander gegeben, wie dies nur dem einer großen Partitur Inneliegenden vergleichbar wäre, eben ein wenig so: … als wäre Musik augenscheinlich geworden in einem Neuen, Anderen. ν