10 Fragen an Lutz Dammbeck
Lutz Dammbeck, 1948 geboren in Leipzig, studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) von 1967 bis 1972, was ihn später nicht hinderte, Filme zu produzieren. Dammbeck gehört zu den Initiatoren des »Leipziger Herbstsalons« (1984) und zum Ausstellungsprojekt »Tangente I«, das nicht zur Realisierung kommen konnte. 1986 erfolgte die Ausreise aus der DDR zusammen mit der Fotografin Karin Plessing und der gemeinsamen Tochter Sophia sowie leichtem Gepäck nach Hamburg. Dort führt Dammbeck das in Leipzig begonnene Herakles-Projekt fort, das bis heute nicht abgeschlossen ist. Von 1999 bis 2015 hatte Dammbeck eine Professur für »Analoge und digitale Bildmedien« an der Hochschule für bildende Künste in Dresden. Im Zuge einer Vorlaßregelung hat Dammbeck das in der DDR entstandene Material der Animations-filme dem Filmmuseum Potsdam überlassen, den Großteil der bildnerischen Arbeit 2015 dem Museum der bildenden Künste Leipzig.
Das Gespräch mit Lutz Dammbeck führte Hans-Werner Schmidt.
(Leipziger Blättern Heft 73)
Hans-Werner Schmidt: Ohne einer zwingenden Kausalität huldigen zu wollen – gibt es in der Rückschau Eindrücke und Prägungen, die den Berufswunsch »Künstler« über Etappen formiert haben?
Lutz Dammbeck: Es gab keinen Berufswunsch Künstler. Alles hat sich so ergeben, wie es nun ist, ohne großes Wollen. Mein Vater war Trainer für Rennpferde im Scheibenholz, also in einem Milieu aus Profisport und Zirkus tätig, meine Mutter war Sekretärin. Vom Elternhaus kamen keine Anregungen, aber auch kein Widerstand. Das Gefühl, Künstler zu sein, hat eigentlich nie eine besondere Rolle gespielt. Letztlich entscheidend war der Wunsch nach Unabhängigkeit, der den Auftrag immer mehr als lästige Fessel empfinden ließ. Im Eigenauftrag etwas zu tun, darum ging es und geht es mir auch noch heute.
Welches Gesellschaftsbild hat der heranwachsende Dammbeck aus seinem unmittelbaren Erfahrungsbereich in der DDR für sich skizzierte, und wo sollte er in dieser Gesellschaft seinen Platz finden?
Heute würde man sagen: Ein »konterrevolutionäres« Gesellschaftsbild. Ablehnung des Staats DDR und seiner Politik. Bei innerdeutschen Sportvergleichen hielt mein Vater, und ich tat es ihm gleich, auf die Mannschaft aus Westdeutschland. Das Ergebnis war eine innere Anti-Haltung. Bis zur Ausreise 1986 habe ich niemanden kennengelernt, der glaubhaft Kommunist war oder sich mit dem Staat DDR identifizierte. Im ersten Vorgespräch mit Bernhard Heisig für den Film »Dürers Erben« erzählte er, daß er aus Breslau kommend die ersten »neuen« Lieder im Radio hörte und dachte, sinngemäß: Das ist doch wieder die gleiche Scheiße. Also: Das gleiche in Grün. Diese Erkenntnis hatte er allerdings nicht alleine.
Den letzten Ausschlag für mich gab dann das Erlebnis in Prag, als die Russen einmarschierten. Ich war mit Kommilitonen nach Ende des ersten Studienjahrs nach Bulgarien gefahren, und auf der Rückreise gerieten wir mit dem letzten Zug, der nach Prag hineingelassen wurde, in den Einmarsch der Russen. Danach war es aus mit der Illusion eines »menschlichen« Sozialismus. Diese Illusion der Linken führte bisher immer nur in die nächste Erziehungsdiktatur, am konsequentesten und reinsten in der von Pol Pot realisierten Form.
Aber, und das gehört auch dazu, auch in den nun zweiunddreißig Jahren in der Bundesrepublik ist mir keine Identifikation gelungen. Ich bin Gast und Beobachter geblieben, es ist nicht mein Staat. Nach den Recherchen zu einem meiner letzten langen Filme, das war »Overgames«, würde ich sagen: Mag sein, daß Deutschland über viele Generationen an der Suche nach eigenem Wesen und Identität psychisch erkrankte, wie es der amerikanische Psychiater Richard
M. Brickner aus dem Kreis um Margaret Mead, Gregory Bateson und Kurt Lewin 1942 diagno-stizierte. Aber die dann aus dieser Blaupause resultierende Therapie des Westens hat dieses Westdeutschland nach 1945 nicht gesünder gemacht, eher nur anders krank. Also, es ist materiell angenehm, da zu leben, aber irgend etwas fehlt. Und die Fragen nach der »eigenen Identität« sind weiter ungeklärt.
Wie hat sich Lutz Dammbeck die HGB-Welt angeeignet?
Ich habe 1967 begonnen zu studieren. Die sogenannte HGB-Welt war hierarchisch struk-turiert. Ganz oben in der Werteskala standen die Maler. Dann kamen Illustratoren, dann die Fotografen, und ganz unten rangierten die Buchgestalter. Die ersten beiden Jahre war ich Buchgestalter. Wer welchen Treppenaufgang benutzte, war klar geregelt. Es hatte private und alltägliche Gründe, daß diese Hierarchisierung bald durcheinandergeriet und sich eine Gruppe bildete, die das anders machte. Da waren Liebeleien und Sympathien im Spiel und der durch
die westlichen Medien zusätzlich aufgeheizte Wunsch, »anders« zu sein. Es ging uns um Rockmusik, Pop und internationale Spielfilme und einfach um das, was in diesen Jahren auch die gleichaltrigen Kollegen in westlichen Ländern Europas und in den USA beschäftigte. Mit dem Unterschied, daß wir anders lebten und den Medienbildern vertrauen mußten. Sich selber ein Bild zu machen war dann die erste große Aufgabe nach dem Weggang in den Westen.
Wenn man die Autobiographie »Besessen von Pop« liest und vor allem wenn man den Film »Dürers Erben« analysiert – welches Bild zeichnet Dammbeck von der »Leipziger Schule« – ein Bild, in das vielerlei persönliche Erfahrungen eingegangen sind?
An der Hochschule und in den ersten Jahren danach malten – fast – alle wie die Leipziger Meister, also mit einem Mix aus altdeutscher Zeichnung, Dix, Slevogt, Corinth und Beckmann, dazu ein Schuß Wiener Phantastischer Realismus. Lineare Kontur und Ausmalen. Im Film »Dürers Erben« haben mich die Wurzeln dieser Hausgespenster der sogenannten Leipziger Schule interessiert und auch, ob mich das konta-miniert hatte. In Dresden, wohin es früh Kontakte über gleichaltrige Studenten gab, war das Formklima anders, malerischer, da wurde weniger literarisiert, sondern auch vom Fleck auf der Leinwand ausgegangen.
Ich fand später alle diese Mittel erschöpft, das ging irgendwie nicht weiter, und ich fand auch, daß diese Bildsprachen nicht geeignet waren, auf Wirklichkeit zu reagieren. Ich hatte also in der DDR einen Dissens zum gängigen Bildbegriff, der in seiner negativsten Form zur Propaganda degenerierte. Aber die Frage, kann sich die Malerei generell über die anfangs genannten Namen hinaus entwickeln und diese Ratlosigkeit und dieses Steckengebliebensein überwinden, die interessiert mich noch heute. Und so bin ich nicht zu Ende mit dem Nachdenken darüber, was ein Bild ist, wie man es herstellt und ob und wie man Wirkungsabsicht und tatsächliche Wirkung konditionieren kann und soll.
Nach 1989 strebt die HGB nicht nur in ihrem Namen, sondern auch in ihrer Ausbildung eine School of New Media an. Wie sieht Dammbeck den angestrebten Transformationsprozeß – und warum vertritt der ehemalige HGB-Schüler die neuen Medien an der Kunstakademie in Dresden?
Als ich davon hörte, dachte ich zunächst: Gut und richtig, ein Anknüpfen an den eigentlichen Traditionen in Leipzig. Denn die Hochschule war ja zunächst Kunstgewerbeschule, Diener des Buchs und später der Fotografie, also ein Hort des Handwerks und der Gebrauchskunst. Malerei in Leipzig war am Anfang eine Idee der russischen Administration und ihrer deutschen Stellvertreter vor Ort. Ob diese Nachkriegsgründung einer Malereiausbildung etwas Nachhaltiges ist, muß sich zeigen. Leipzig war ja nie ein Ort für Malerei, eher für Angewandtes, auch für technische Verfahren. Dieses Technische, also Medien, spielte während meines Studiums keine Rolle, Siebdruck war das Modernste, das zur Verfügung stand. Wer so etwas wie ich machen wollte, mußte sich die Möglichkeiten selbst und anderswo suchen.
Daß sich dann 1999 die Dresdner Hochschule meldete, lag an deren damaligem Rektor Horst Hirsig, einem Schüler von Raimund Girke. Der hatte meine Ausstellung im Haus am Waldsee in Berlin gesehen, war begeistert und dachte wohl, mit meiner Anstellung den auch in Dresden begonnenen Transformationsprozeß zu beschleunigen.
Nachgedacht, was das sollte, hatte niemand. Auch ich nicht. Ich wußte nur, daß ein Professor an einer Kunsthochschule nicht oft anwesend ist, und dachte, so eine Zeit wäre gut für mich, um einen neuen Film, »Das Netz«, in Ruhe vorbereiten zu können. Schwierig war: Um die Hochschule herum war das mir bereits seit meiner Tätigkeit für die DEFA bekannte Dresden in all seiner ehrpusseligen Kunstfummeligkeit und orientalisch anmutenden Trägheit.
Aber wie es dann so ist: Durch Zufall geriet ich in ein Drittmittelprojekt, hatte ein paar Jahre zusätzliches Geld und konnte einladen, wen ich wollte: Hans-Jürgen Syberberg, Peter Weibel, Raffael Rheinsberg und viele andere. Ich merkte aber schnell, daß ich eigentlich für eine Institution wie eine Akademie der Falsche bin. Die Kollegen, von den meisten Namen hatte ich vorher noch nie etwas gehört, gingen mir bald auf die Nerven, so wie ich ihnen mit meinen Vorstellungen von Grundlagen und Handwerk. Und als die Studenten einmal die Seminare, die fehlende Grundlagen vermitteln sollten, als zu »professionell-autoritär« ablehnten, ließ ich es dann ruhig ausklingen.
Durch die Recherchen für meine Filme änderte sich auch meine Einstellung zur Technik allgemein und zu mit Maschinen hergestellter Kunst. Ich bekam Gelegenheit, zu den Anfängen des »Science & Technology Business« in New York, San Francisco und Boston zu recherchieren und mit Künstlern der 1960er und 1970er Jahre und deren materiellen wie geistigen Unterstützern zu sprechen. Ich teile die Sicht des Kurators und Kunsthistorikers Jack Burnham, der schon Ende der 1970er dieses Kunstmodell als gescheitert erklärte, weil Kunst und Künstler nur die nützlichen Idioten für den Verkauf von Hard- und Software oder aktuell nun Apps und Augment Reality-Apparaturen waren und sind. Es ist was für Ingenieure und Bastler. Es berührt mich nicht so wie, pathetisch gesagt, das Schwarz des Himmels auf dem Isenheimer Altar in Colmar, die Mittelalterbilder im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg oder das Rascheln der welken und zufällig in den Raum gewehten Blätter vor den Bildern von Lovis Corinth im Museum Hombroich. Und hier ist auch der Begriff Spiritualität zu nennen, ohne die es meines Erachtens keine wirkliche Kunst gibt.
Und die vielen Medienklassen in Leipzig, die es nun schon seit einigen Jahren gibt? Meist ist als Begründung für das viele Geld zu hören, daß diese technisch basierte Kunst das benötigt, um überhaupt produziert zu werden, daß es um die »kritische Hinterfragung von Medien« geht. Realiter ist dieser Anspruch aber bisher folgenlos geblieben. In Wirklichkeit geht es um gute Stimmung, die den Absatz von Technik beflügelt, der sich in immer schnellerem Rhythmus den Verfallsdaten dieser Technik anpaßt.
Vergleicht Dammbeck die technischen Ressourcen und Realisierungsschritte für die Filmproduktion in der DDR mit denen an seinem »Exilstandort« Hamburg – zu welcher Bestandsaufnahme und zu welchen Schlüssen kommt er?
Zunächst mal hat mir das Filmemachen an beiden Standorten Spaß gemacht und hat mir Gespräche mit Leuten wie Hans-Jürgen Syberberg, Ernst Jünger oder Jean Baudrillard ermöglicht.
Ich hatte schon 1971 angefangen darüber nachzudenken, wie sich statische Bilder in Bewegung versetzen lassen. Zum Diplom an der Hochschule habe ich dann 1972 Grafiken und das Storyboard für einen Animationsfilm vorgestellt. Der erste Film nach eigener Geschichte, gedreht auf 35-mm-Originalnegativ im DEFA-Trickfilmstudio Dresden, war 1975 fertig. Zeitgleich begann ich mich mit experimentellen Filmtechniken zu beschäftigen, mit denen ich auch außerhalb der staatlichen DEFA-Studios Filme machen konnte. Um mich herum sah ich niemanden, der ähnliches versuchte, es war ein bißchen wie im luftleeren Raum.
Als dann 1982, spätestens 1983 klar war, daß es mit einem programmfüllenden experimentellen Herakles-Film in der DDR nichts werden würde, kam es zu den von mir »Mediencollagen« genannten »Filmen in Echtzeit«, live vor Publikum, zum Teil vor mehreren hundert Zuschauern.
Das Studiosystem in der DDR funktionierte so: Hatte man es geschafft, ob als Freier wie ich oder als Festangestellter, einen Stoff in den Produktionsplan zu bringen, erhielt man ein Team und ein Budget und war erst mal aller finanziellen Sorgen ledig. Das Studio verkaufte dann den Film an den staatlichen Verleih, und der koppelte den, in meinem Fall war es ein Kurzfilm, mit einem Spielfilm im Kino. Diese Koppelungen waren nicht schlecht. Das Problem war nur, daß es generell immer nur darum ging, wie weit man sich in dem vorgegebenen Rahmen an dessen Grenze wagte.
Im Westen war Film vor allem Wirtschaft. Auch der »künstlerische« und »experimentelle« Film hatte Berichts- und Abgabepflichten. Natürlich hatte die Reeducation nach 1945 auch den Filmbereich im Westen neu strukturiert. Die Nachfolger des alten Studiosystems der UFA hatten noch bis Mitte der 1960er Jahre mit Hilfe von Heimatfilm und Softpornos durchgehalten und waren dann durch den Neuen deutschen Film abgelöst worden. Leider verschwanden damit auch viel Handwerk und Kenntnisse. So ist auch der Anteil von, teilweise auch bewußtem, Dilettantismus in vielen Filmen des Neuen deutschen Films zu erklären. Man hatte keine Ahnung, machte aber erst mal los. Eigentlich war mir das sympathisch, auch ich war Quereinsteiger. Aber ganz ohne Handwerk?
Hamburg war in den 1980er Jahren eines der Zentren der neu gegründeten regionalen Filmförderungen. Das lag auch an Dieter Kosslick, der wie viele seiner Nachfolger aus dem SPD-Apparat der Hansestadt kam und wußte, wo es künftig langgehen würde. Über eine Zwischenphase, wo jeder, der wollte, auch durfte, sollte es zum erfolgreichen europäischen Mainstream gehen, der es mit den anderen großen Film-nationen würde aufnehmen können.
Der schmale Hals, durch den nun aber seit einigen Jahren alle Filmwirtschaften, Regisseure und Autoren auf der ganzen Welt gehen müssen, ist die Digitalisierung. In Deutschland können nur noch eine Handvoll Kinos 35-mm- oder 16-mm-Filmkopien vorführen. Ungeachtet aller romantischen Beschwörungen ist die Zeit des Kinos,
in der ich es kennengelernt und geliebt habe, vorbei. Aber ich sehe das nicht mit Wehmut. Das Arbeiten im Team und die Abhängigkeit von Dritten sind mir in den letzten Jahren mehr und mehr auf den Nerv gegangen. Es hat sich gezeigt: Am liebsten arbeite ich allein. Video, 3D-Animation oder anderer Schnickschnack wie Augment Reality interessiert mich nicht; Video als Hilfsmittel, um etwas schnell ohne größeren Anspruch zu dokumentieren, habe ich notgedrungen akzeptiert.
Aber wenn ich nun die zig Festplatten im Atelier sehe, die die Daten meiner gerade frisch digi-talisierten und restaurierten Filme enthalten,
bin ich froh, daß von den meisten Filmen noch ein Negativ existiert. Denn niemand weiß, wie lang die Lebenszeit dieser Festplatten ist und
für welche Filme irgendjemand in Jahrzehnten entscheiden wird, ein Back up zu machen, das das Überleben der Daten und damit der Filme weiter sichert. Dieser Prozeß ist aber nicht nur eine technische Angelegenheit, sondern er ist auch ideologisch relevant. Digitalisierung erfüllt alle Anforderungen von Diversität und Immersion und ist der technische Motor für die Umsetzung eines politischen Programms.
Das Ergebnis meiner Arbeit mit verschiedensten Medien seit über vierzig Jahren ist: Der Begriff Diversität klingt gut, ist aber letztlich für mich nicht tauglich. Diversität, oder wie es zuvor hieß Interdisziplinarität, ist vielleicht gut für Experimente und Erprobungen, aber am Ende muß ein klar gefaßtes »Werk« stehen. Das Zerfließende, Ineinanderströmende, sich Auflösende, Überlagernde und Phasenhafte ist zwar formal interessant, reicht aber letztlich nicht an ein »Werk« heran. Dafür sind Differenz und Abgrenzung wichtig. Wenn Diversität in der Kunst nicht funktioniert, funktioniert sie auch nicht politisch.
Welche künstlerischen Projekte sollten bei einer Retrospektive von Lutz Dammbeck zur Präsentation kommen und was sollte ausgespart bleiben?
Eine Retrospektive interessiert mich nicht so sehr, sondern es müßte etwas Neues entstehen. Darin können auch ältere Arbeiten integriert sein. Alle wichtigen Werkgruppen sind im Besitz öffentlicher Sammlungen und Archive. Einen großen Teil besitzt seit 2015 das Museum in Leipzig. Ob es klug war, dem Museum und der Stadt so viele Arbeiten anzuvertrauen, muß sich allerdings noch zeigen.
Aber ich würde gern einmal versuchen, all die Experimente, Einzelwerke oder Werkgruppen, die ich seit Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre unter dem Oberbegriff »Herakles Konzept« zusammengefaßt habe, nachvollziehbar zu einem »Werk« zu ordnen. Also zu einer »Erzählung im Raum«, die aus Bildern, Fotografien, Filmen und auch Toncollagen besteht. Wo sich Märchen in mythischen Sagenfiguren spiegeln und sich der zentrale Konflikt von Herakles mit der Hydra, der ja bereits in der Antike beschrieben wird und den dann Heiner Müller in die Neuzeit transformiert hat, in Permanenz abspielt. Das ist das Gerüst für ein Narrativ, das natürlich dann im konkreten Werk vieldeutiger und möglicherweise für den Betrachter nicht ad hoc verständlich ist. Diesen Prozeß mal als ein »Werk« zu zeigen, dafür braucht es geeignete Räume, Geld, verständige Unterstützer und das Selbstbewußtsein eines Veranstalters, der mich machen läßt. Im Moment ist aber mein Terminkalender so voll, daß ich gar keine Zeit habe, das konkreter anzugehen.
Wo sieht Lutz Dammbeck den Kunststandort Leipzig auf der Deutschland-Kunst-Landkarte und im internationalen Vergleich?
Ich lese seit Jahrzehnten keine Kunstzeitschriften mehr. Ich hab, ehrlich gesagt, auch keine Ahnung, was ein »Kunststandort« ist. Ist Hamburg ein Kunststandort? Leipzig? In beiden Städten gibt es Kunsthochschulen, und einige Absolventen bleiben dann am Ort, am Stand-Ort. Aber sind damit die sogenannten Stars gemeint oder das Gros der vielen Absolventen, die in jeder Stadt unablässig das Heer der Künstler vergrößern, die größtenteils über die Grenzen der Stadt hinaus niemand kennt?
Was Leipzig betrifft: Ich glaube, die Behauptung, »figürlich malen zu können«, reicht auf Dauer nicht aus, um sich als » Standort« zu behaupten. Aber ich finde die Frage auch ein wenig provinziell.
Wie läßt sich künstlerischer Erfolg messen, abseits von Auktionsergebnissen? Was ist für Lutz Dammbeck die erfüllte künstlerische Praxis?
Als erstes brauche ich dafür nicht »den Markt«. Das ganze Betriebssystem Kunst mit Messen, Galerien, Auktionen und Sammlern interessiert mich nicht; ich leiste mir den Luxus, damit nichts zu tun zu haben. Natürlich hat dieser Luxus seinen Preis, aber den zahle ich gern. Ausnehmen möchte ich das Museum in seiner klassischen Form. Immer enger angeschlossen an den Kunstbetrieb aber wird es sich irgendwann selbst
ad absurdum führen, sich als Ort ästhetischer Orientierung im Sinne eines Wertesystems aufgeben – und verschwinden.
Erfolg ist, wenn ich dem nahekomme, was am besten mit einem Zitat von Peter Weiss beschrieben ist, das mir ein Londoner Filmhistoriker schickte, als er versuchte, meine Filme zu charakterisieren: »ein Registrieren von Impulsen, Aussagen, Erinnerungsbildern, Handlungsmomenten […] alles Schwankende, Zersplitterte, Vieldeutige, alle brodelnden Monologe wurden zum Resonanzboden für meine Gedanken und Reflexionen. Ich blickte hinein in einen Mechanismus, der siebte, filtrierte, scheinbar Unzusammenhängendes zu Gliederungen brachte, der Vernommenes, Erfahrenes zu Sätzen ordnete, der ständig nach Formulierungen suchte, Verdeutlichungen anstrebte, vorstieß zu immer wieder neuen Schichten der Anschaulichkeit.« Dieser Mechanismus aus Animalischem und Theoretischem, der interessiert mich. Und dafür versuche ich eine Form zu finden, um ihn zu beschreiben.
Was möchte Lutz Dammbeck darüber hinaus gefragt werden?
Danke, nichts. 16 000 Zeichen sind genug.
Die Dokfilmwoche Leipzig (29. Oktober bis 4. November 2018) widmet Lutz Dammbeck eine Werkschau.