Genialer Außenseiter

Der Maler Roland Frenzel (1938–2004)

(Claus Baumann, Leipziger Blättern Heft 72)

Künstler kann man nicht werden, man ist es von Geburt an oder man ist es nicht. Veranlagung und Talent bekommt man in die Wiege gelegt. Die große Kunst ist kein Verdienst, sie ist ein Geschenk. Aber zu viele Faktoren, innere und äußere Umstände und »Zufälle« und eine gehörige Portion Glück müssen in der notwendigen Abfolge und zum richtigen Zeitpunkt zueinanderfinden, damit dieses Geschenk zu seiner vollkommenen Entfaltung gelangt. Daher liegen Fluch und Segen oft nahe beieinander, denn tanzt nur ein Glied in dieser unsagbar komplexen Kette aus der Reihe oder fehlt gar ganz, kann dieser Segen zum Fluch werden, das Leben zur Qual.
Setzt man dies als gegeben voraus, so erklären sich viele Tragödien der neueren Kunstgeschichte. Wir kennen davon meist nur die der wenigen ganz Großen, zum Beispiel die von Hans von Marées, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Amedeo Modigliani … und ahnen nicht, wie viele tatsächlich sonst noch davon betroffen sind, oft in unmittelbarer Nähe, wie etwa Roland Frenzel.
Künstler wird man nicht, man ist es, ob man will oder nicht. Meist gelingt es, diesem inneren Drang scheinbar zu entfliehen, aber zuweilen ist er so gewaltig, daß man ihm Folge leisten muß, auch wenn er in die Einsamkeit führt, zum Verlust der Familie, zum Verlust der Freunde, zum Verlust eines selbstbestimmten Daseins.
Alle großen Künstler wissen – und die, die auch schriftliche Zeugnisse hinterließen, bestätigen es –, daß der Künstler nur ein Medium ist, mit dem die Natur (oder wer auch immer) das hervorbringen läßt, das wir Kunst nennen und für das wir noch immer keine hinreichende Erklärung besitzen. Wir sind also der Kunst auch weiterhin ohne einen allzeit gültigen und jederzeit nachvollziehbaren Maßstab ausgeliefert. Sind dabei in der Regel allein dem überlassen, dem wir am wenigsten trauen: unserem Gefühl. Weshalb unser Umgang mit der Kunst – auch wenn diese selbst objektiven Kriterien unterliegt – am Ende nichts anderes ist als Lotterie. Es ist nicht der Wahnsinn, der das Genie erzeugt, sondern es ist der Konflikt mit der Umwelt, der das Genie in den Wahnsinn treibt.
Dies muß man wenigstens vorausschicken, will man das Phänomen auch eines Roland Frenzel einigermaßen nachvollziehbar machen, zumal er noch immer – gemessen an seiner künstlerischen Leistung – eine kaum wahrgenommene Ausnahme ist innerhalb der Leipziger Kunstentwicklung.
Roland Frenzel wurde als jüngstes von drei Kindern am 29. Mai 1938 in Leipzig geboren. Sein Vater war Filmvorführer, die Mutter Hausfrau. Seine Geschwister, ein Bruder und eine Schwester, waren um einiges älter. Er war also das, was man einen Nachzügler nennt. Ein Jahr nach seiner Geburt brach der Zweite Weltkrieg aus. Damit wurde auch sein Leben in eine Bahn gedrängt, die unter normalen Bedingungen gewiß so nicht verlaufen wäre. Der Vater blieb im Krieg verschollen. Die Mutter versuchte danach allein die Familie über die Runden zu bringen. Sie litt aber bald an schweren Depressionen. Fortan bestimmte der ältere Bruder über die Familie. Er soll kein angenehmer Mensch gewesen sein, und er wußte mit einem kleinen Kind, auch wenn es der Bruder war, wenig anzufangen. Dem kleinen Roland blieb als Zufluchtsort oft nur das Versteck, das er sich zu Hause unter der Spüle eingerichtet hatte. Hinzu kamen noch die Zeitereignisse, der Krieg, der Hunger, die beständig allumgebende Angst. 1944 wurde er eingeschult. Nach Beendigung der acht Jahre Grundschule erlernte er von 1952 bis 1954 den Beruf eines Maurers, in dem er bis 1972 arbeiten wird.
Es gibt bis Schulende anscheinend keine Anregung, keine Gelegenheit, kein Vorbild, geschweige denn jemanden, der ihn in seiner künstlerischen Begabung entsprechend fördern wird, obwohl er das ist, was man eine Inselbegabung nennt – aber die wird nicht erkannt. Trotzdem trieb es ihn unaufhaltsam hin zur bildnerischen Tätigkeit.
Für seine ersten zeichnerischen Versuche gelten die Jahre von 1952 auf 1954, also die Zeit seiner Lehre zum Maurer. Wenn man bedenkt, daß es zu jener Zeit auf allen sächsischen Berufsschulen noch üblich war, daß jeder Auszubildende während der Lehrzeit auch einen Kurs im Zeichnen absolvieren mußte, so liegt es nahe, daß dies seiner inneren Veranlagung zum Durchbruch verhalf. Jedenfalls versäumt er von da an keine Gelegenheit zu zeichnen und zu aquarellieren, geht von sich aus in Museen und Ausstellungen und sucht bald die Nähe bildender Künstler, von denen er sich einiges erhofft und die ihn in seinen künstlerischen Bemühungen ernst nehmen. Es existiert, wahrscheinlich aus der Zeit dieser Anfänge, ein kleines Aquarell, eine Seelandschaft mit Booten und Badenden. Es ist eines jener üblichen Anfängerbilder. Das Blatt ist signiert, sonst würde man es nie mit Roland Frenzel in Verbindung bringen. Es besitzt nicht im geringsten etwas von dem, das Roland Frenzels Kunst bestimmen wird.
Die Einflußnahme anderer auf seine Kunst wird im weiteren ohnehin kaum eine Bedeutung erlangen, obwohl Roland Frenzel stets den Kontakt, den Disput über Kunst und mit Künstlern sucht. Ab 1956 macht er die Bekanntschaft unter anderen mit Walter Bodenthal, Emil Koch, Heinz Müller. Jedoch es ist anhand des erhaltenen Bildmaterials kaum zu sehen, ob diese Künstler Einfluß besaßen auf seinen Werdegang. Ich kenne ein Frenzel-Bild, in dem man leicht an Bodenthal erinnert wird, aber vielleicht kommt das auch nur vom gemeinsamen Motiv, das sie malten. Ähnlich verhält es sich bei dem einen Frenzel-Bild, das durch Motiv und Herangehensweise unverwechselbar an Heinz Müller erinnert. Aber es will auch dabei scheinen, daß Frenzel nur einen Versuch brauchte, um festzustellen, daß es nicht das Seine ist.
In dem Bild »Mond über der Stadt« von 1963 ist scheinbar über Nacht alles angelegt, was seine Bilder charakterisieren wird. Aber es ist dort noch nicht die Entschlossenheit zu sehen, die ihn dann zu einem Maler werden ließ, dessen Kunst sich in der Leipziger Kunstentwicklung mit keiner anderen vergleichen läßt; in einem vagen Punkte vielleicht mit Mattheuer – doch da ist es offen, wer sich von wem bediente. Mat-theuer schien ihn jedenfalls sehr zu interessieren. Er glaubte sogar, daß Mattheuer ihm seine Wolkenform, die taubenförmige Wolkenform gestohlen hätte. Frenzel malte diese nachweislich bereits um 1965, während sie bei Mattheuer, in dieser Form vergleichbar, zum ersten Mal 1972 Verwendung findet. Es ist dabei jedoch nicht ersichtlich, ob Mattheuer sich bei Frenzel bediente oder sich bei ihm diese Form aus der Bildidee ergab. Wohl eher letzteres. Aber wer weiß? Mattheuer (und nicht nur er) nahm sich gern auch von anderen, was ihm gelegen kam.
Es ist nicht mehr rekonstruierbar, wann und wodurch Roland Frenzel zu seiner Malerei fand. Er verkehrte unter anderem um 1963 in dem Haus in der Philipp-Rosenthal-Straße, das Gil Schlesinger »unser Bateau Lavoir« nannte, nach dem berühmten Künstlerhaus der École de Paris. In der Leipziger Variante davon hatten sich damals um Thomas Ranft einige Künstler zusammengeschlossen, unter anderen eben auch Gil Schlesinger und Günther Huniat. Mit diesen beiden bildete Roland Frenzel eine langjährige Gemeinschaft. Sie gingen zusammen auf Mal- und Zeichentouren, trafen sich zwischen 1964 und 1972 regelmäßig an den Sonntagen zu Kaffee und Kuchen und Gesprächen über Kunst, oder sie veranstalteten im Garten hinter Huniats Atelier in der Holzhäuser Straße 73 kleine Ausstellungen ihrer neuesten Arbeiten.
Die Begegnungen mit der internationalen Kunstentwicklung, die Frenzel um 1963 durch die Vorträge erfährt, die in jenem Künstlerhaus in der Philipp-Rosenthal-Straße (mehr oder weniger illegal) stattfanden, könnten ein entscheidender Impuls gewesen sein, denn von 1963 bis 1965 ist es zeitlich nur ein kurzer Schritt. Bereits 1965 existiert das Gemälde »Landschaft mit Telegrafenmasten«, in dem alles angelegt ist, was seine Landschaften weiterhin überwiegend bestimmen wird: zum Beispiel die Höhe des Horizonts und die oft dominant hoch am Himmel schwebende Taubenwolke. Er besucht zwar unter anderem von 1966 bis 1968 den Mal- und Zeichenzirkel des Kirow-Werks unter der Leitung von Max Gerhard Uhlig und Thomas Weise, aber auch das bleibt nur einer seiner vielen vergeblichen Versuche, etwas zu finden, das ihm für seine Kunst von Nutzen wäre. Was soll auch von außen hinzukommen, wenn es doch längst vorhanden ist? Ein Malunterricht im herkömmlichen Sinne läßt sich bei ihm nicht belegen. Was sich also zur damaligen Zeit für manchen akademisch Ausgebildeten wie die launische, un-beholfene, fernab aller Regeln dahingeworfene Malerei eines Laien zeigte, das läßt im nachhinein absolut vorbildfreie, geniale Züge erkennen. Es gibt Werke wie zum Beispiel die Zeichnung »Dorfstraße« von 1977; diese sind gleichsam mit hoher Präzision aufs Papier geschrieben, 
wie ich es bis dato nur bei einigen der großen Niederländer gesehen habe. Nicht wenige seiner Gemälde erreichen eine Vollkommenheit in allen ihren Gestaltungsteilen zueinander. Oder wie es Paul Klee 1912 einmal vergleichbar und auch für Frenzel zutreffend formulierte: »Wir erleben den Fall, daß Süße der Form und des Kolorits nicht nur nicht unangenehm, sondern als der angeborene Ausdruck eines Genies stark und elementar wirken.« Leider gilt das nicht gleichbleibend für das gesamte Schaffen Frenzels.
Gewiß, keines Künstlers Werk ist durchgehend von gleicher Qualität. Max Liebermann äußerte gar: »Laßt nur, die Kunsthistoriker sind schon nütze, denn wer sollte uns sonst nach unserem Tode die schlechten Bilder absprechen.« Jedoch bei Roland Frenzel verhält es sich ein wenig anders. Die formalstilistische Beschaffenheit seines Werks besitzt (bei Erkennbarkeit der Handschrift) von realistisch und dekorativ über hochgradig abstrakt bis informel eine Vielzahl an Ausdrucksformen. Und in jeder dieser Fa-cetten gibt es Meisterwerke und gleich daneben Blindgänger, dergestalt, daß man nicht auf Anhieb erkennt, ob es sich um ein mißlungenes Werk oder vielleicht doch um eine weitere -geniale Facette handelt.
Roland Frenzel wurde nicht generell verkannt; er fand zu Lebzeiten auch Anerkennung. So hatte er von 1965 an bis in die neunziger Jahre hinein jedes Jahr wenigstens eine Ausstellung. Die Ausstellungen allerdings mitgerechnet, bei denen er am Abend vor der Eröffnung zum Erstaunen und Entsetzen der Veranstalter seine Bilder wieder abholte. Was nicht nur einmal geschah. Und trotzdem versuchte man es immer wieder mit ihm, so wie er sich selbst sehr früh um Ausstellungsmöglichkeiten bemühte. Und er war dabei nicht wählerisch, aber stolz, wie eine von seiner Hand geschriebene Einladung von 1965 belegt: »Am 8. Okt. zeigt der Zirkel / vom Clara-Zetkin-Park / Arbeiten von / R. Frenzel / In der Parkbühne 10 – 18:00« (Frenzel unterstrichen).
Man kennt ihn in der Stadt. Er wird gesammelt. Aber es bleibt schwer, mit ihm umzugehen. Als er 1972 in den Verband Bildender Künstler aufgenommen wird, kann er an den großen regionalen und überregionalen bis hin zu internationalen Ausstellungen teilnehmen; und er erhält sogar offizielle Aufträge. Einer davon, ein Gemälde zu Víctor Jara, müßte noch im Altenburger Lindenau-Museum zu finden sein. Doch er hat so seine Schwierigkeiten nicht nur mit Terminvorgaben. Wie auch immer, unter äußerem Zwang zu malen, das ist nicht das Seine, dafür ist der innere Zwang zu unerschöpflich.
Es ist zu viel geschehen in seiner Kindheit, und sein künstlerisches Feuer bringt ihn nicht selten zum Kochen, zum Überkochen. Sein künstlerischer Anspruch deckt sich oft nicht mit dem, das zustande kommt, obwohl er sich gleichzeitig den meisten seiner Kollegen überlegen fühlt. Um so empfindlicher reagiert er auf jegliche Art von Kritik. Dabei liegt der größte Konflikt in ihm selbst. Er sucht permanent die Anregung und ist doch beratungsresistent. Auch wenn ihm mal jemand näherkommen darf, was selten geschieht, kann der ihm wiederum nicht helfen. Auf der Suche nach Ordnung lernt er das Chaos beherrschen. Seine Wohnung ist sein Atelier. Das Bett steht an der Wohnungstür. Nur fußbreite Gänge erlauben durch die Berge von Bildern einen Weg zu den wenigen Sitzgelegenheiten im hintersten Zimmer. Es ist kalt, und manchmal gibt es kein Wasser. Es herrscht eine chaotische und doch peinliche Ordnung. Wenn man ihm in der Stadt begegnet, ist er stets frisch rasiert und akkurat gekleidet. Er malt und zeichnet, viel vor der Natur, bei jedem Wetter, besessen, mal kontrolliert, mal nur wie in Trance.
Als ich ihn um 1973 einmal fragte, warum er mit reinen, fröhlichen Farben male, wo doch um ihn herum die meisten Künstler ihre Farben mit Schwarz brachen, antwortete er: »Unser Leben ist doch grau genug, warum soll ich dann auch noch mit grauen Farben malen.« Das klang, als würde er seine Malerei in diesem Sinne gänzlich bewußt gestalten. Aber sein ganzes Werk, sein ganzer Werdegang sprechen – von heute aus gesehen – dagegen. Er wollte nicht so malen, er mußte. Er hätte gar nicht anders gekonnt. Er war eine Inselbegabung, und das nicht nur auf seine bildkünstlerische Veranlagung bezogen. Sein Gedächtnis war phänomenal. Es würde den hier gegebenen Platz sprengen, würde ich alle von ihm gehörten kunstkritischen Bonmots wiedergeben, die er über seine Kollegen immer wieder zum besten gab. Er besaß einen sehr trockenen Humor und war messerscharf und gnadenlos in seinem Urteil.
Wer weiß, was aus ihm geworden wäre unter normalen Bedingungen von Anbeginn an? Denn: Künstler kann man nicht werden! Und wenn man es ist, wird man es nicht wieder los.
Als ihn Ende 2003 zunehmend die Kräfte verließen, zeigte sich, daß er noch immer nicht allein war. Sofort waren Leute zur Stelle, die ihm eine neue Wohnung beschafften. Eine Wohnung, wie er sie sein Leben lang nie besessen hatte: hell und trocken, mit Blick auf den Karl-Heine-Kanal, mit fließendem kalten und warmen Wasser und einem warmen Klo, mit Küche und einem Arbeits- und Schlafzimmer. Es ist Anfang 2004. Man ist bemüht, ihm das Mögliche in Perfektion zu gönnen. Zum ersten Mal umgibt ihn eine Ordnung, in der er sich aber fremd fühlt. Man meint es gut. Es währt nicht lange. Am 
4. April 2004 stirbt er, nur wenige Tage vor seinem Geburtstag. Am 29. Mai 2018 wäre er achtzig Jahre alt geworden.